Von Dr. Elisabeth Skardarasy
Romane können einen in andere Welten entführen. Manchmal gelingt dem Autor das aber so gut, dass man als Leser das Gefühl bekommt, tatsächlich in das Leben und die Realität der Figuren eintauchen zu können – so wie in Gianfranco Galligarichs Roman Der letzte Sommer in der Stadt, in dem wir den Protagonisten ins Rom der frühen 1970er-Jahre begleiten dürfen.
Eigentlich eine Wiederentdeckung … und doch eine Neuerscheinung
Das Buch erschien in Italien bereits 1973 und erfreute sich auch einiger Beliebtheit, verschwand aber sehr schnell wieder aus der breiten Öffentlichkeit. Erst in den letzten Jahren wurde der Roman wiederentdeckt und wird seitdem nach und nach in zahlreiche Sprachen übersetzt. Nun ist er in der Übersetzung von Karin Krieger endlich auch auf Deutsch erschienen.
Darf‘s ein bisschen Nostalgie sein?
Manche Städte verbinden wir nicht nur mit bekannten Plätzen und Gebäuden, sondern mit einem ganz bestimmten Lebensgefühl. Das gilt auch für Rom, die Ewige Stadt. Zum Sehnsuchtsort ist sie nicht zuletzt durch Filme wie La Dolce Vita oder La Grande Bellezza geworden.
Die Handlung des Romans beschreibt dazu passend eine melancholische, bittersüße Liebesgeschichte. Die Hauptfigur Leo Gazzarra kommt aus Mailand nach Rom, um hier zu arbeiten. Über die Vermittlung von Freunden bekommt er eine Wohnung, einen Job und einen alten Alfa Romeo, außerdem findet er schnell Anschluss und ist bald ein gerngesehener Gast bei diversen Partys. Eigentlich scheint alles reibungslos zu laufen und doch ist von Anfang an klar: Dieser Protagonist ist kein erfolgsverwöhnter Gewinnertyp, er stolpert vielmehr orientierungslos durch sein Leben, das zwar inhaltsreich, aber keineswegs gehaltvoll ist. Er ist einsam, verloren und ruhelos.
Auf der Suche nach einer verloren geglaubten Zeit
In dieser Situation trifft er auf einer der Partys, die er mehr oder weniger freiwillig besucht, auf die wunderschöne, aber nicht minder exzentrische Arianna, von der er vom ersten Moment an fasziniert ist und mit der er ein Verhältnis beginnt. Mit ihr fühlt er sich lebendig. Dass es sich dabei um eine zerstörerische Beziehung handelt, die wohl kein Happy End finden wird, ist von Anfang an klar. Doch das ist wohl auch gar nicht das Ziel des Romans.
Was das Buch so besonders macht, ist nicht die Handlung an sich, sondern neben der einprägsamen Sprache vor allem die Stimmung, die Atmosphäre, die Calligarich erzeugt. Er kreiert eine Gefühlsbandbreite zwischen Sinnlichkeit und Lebenshunger, Melancholie und Trauer, Rührung und bittersüßer Tragikomik – immer begleitet von der alles überdauernden Schönheit Roms. Was am Ende bleibt, ist die Sehnsucht nach einer vergangenen, verloren geglaubten Zeit, die aber zumindest während der Lektüre wieder auferstehen kann.
Der Autor – Gianfranco Calligarich
Gianfranco Calligarich, geboren 1947 in Asmara, Eritrea, stammt aus einer Triestiner Familie. Er wuchs in Mailand auf, bevor er nach Rom zog, wo er als Journalist und Drehbuchautor arbeitet. 1994 gründete er das Teatro XX Secolo. Die Originalausgabe von Der letzte Sommer in der Stadt erschien 1973. Der Roman wird derzeit in zwanzig Sprachen übersetzt. Noch mehr zum Autor
Buch-Tipp im Februar
Gianfranco Calligarich, Der letzte Sommer in der Stadt
Roman
Paul Zsolnay Verlag Wien
208 Seiten
ISBN 978-3-552-07275-6
Preis: € 22,70
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/der-letzte-sommer-in-der-stadt/978-3-552-07275-6/