Es tut so gut an ein Ende zu kommen. Begrenzung zu erfahren. Wortwörtlich – erfahren, denn das Ende der Straße bedeutete ein Ende für’s Auto. Für’s Auge präsentierte sich eine Weite von schier unglaublicher Schönheit. Wir waren angekommen am Zirmerhof, in Südtirol, genauer gesagt im idyllischen Örtchen Radein, auf 1560 m. An einem ganz besonderen, einem magischen Ort.
Der erste Gast
1890 kam der erste Gast. Anna Wieser, die damalige Besitzerin hatte eine Annonce in der Wiener Zeitung geschaltet, in der ein Doppelzimmer mit zwei Betten beworben wurde. Allein die Anreise „per bequemen Fußweg“ von Bozen über Kohlern dauerte zirka 8 Stunden. Das Resümee von Dr. jur. Alois Wachach aus Wien fiel ernüchternd aus. „Wenn sie sich den Fremdenverkehrsbetrieb so vorstellen, dann machen sie lieber heute zu als morgen!“ Anna Wieser befolgte die wertvollen Ratschläge ihres ersten Gastes, besorgte passende Möbel, Vorhänge, sorgte für Wanderwege und vielem mehr. Für Wacha errichtete sie einen Wiesenweg, den Wachaweg, zum Tautreten.
Die Geschichten vom Zirmerhof
Es sind Künstler, Aristokraten, Wissenschaftler aus Wien, Leipzig und Berlin die die Geschichten vom Zirmerhof in gewisser Weise mitgestalteten. Sie erkannten schon früh die heilsame Wirkung dieses ganz besonderen Ortes. Es herrschte reger Austausch an Meinungen, Ideen, Weltansichten und – Ehen wurden geschlossen. Während die Schwester des Großvaters einem Gast, ein Röntgenologe aus Nürnberg, folgte und ehelichte, kam die Großmutter als Gast aus Nürnberg und blieb – als Ehefrau.
Immer wieder Veränderungen
Viel wurde verändert, umgebaut, dem Zeitgeist angepasst. Immer gespickt mit Einflüssen grenzüberschreitender Inspiration und unter der Leitung berühmter Architekten und Künstler. Um 1900 baute die Großmutter den Speisesaal um. Der österreichische Kaiser Franz Josef und deutsche Kaiser Wilhelm, als Zugeständnis für die deutschen Gäste, hingen an der Wand. Es gab zwei lange Tische und der Begriff „sich nach oben dienen“ findet hier vielleicht seinen Ursprung. Denn den „neuen“ Gästen wurden die unteren Plätze zugewiesen. Pünktliches Erscheinen war angesagt ganz besonders für die „Neuen“.
Traditionen werden hochgehalten
Noch heute läutet Georg, der Hauswart punkt 19:00 Uhr die Glocke, und zwar in jedem Stock, vor jeder Zimmertür. Dass man es mit der Pünktlichkeit heute nicht mehr ganz so streng nimmt, ist der Zeit bzw. der modernen Tischordnung geschuldet. Das Hochhalten traditioneller Werte dagegen ist ein Muss. „Jede Tradition, die man aufgibt, ist für immer verloren.“, so die erklärenden Worte des Hausherren.
Als nach dem Ersten Weltkrieg die Kaiser-Bilder an den Wänden an Aktualität verloren hatten, beauftragte der Großvater den Südtiroler Maler Ignaz Stolz, ein Fresko der Heiligen Drei Könige zu malen, als Sinnbild der ersten Reisenden. Doch als das Bildnis feierlich enthüllt wurde, waren nicht alle vom sehr modern interpretierten Fresko begeistert und ein Gast droht gar mit der Abreise der ganzen Familie, sollte diese Malerei nicht wieder entfernt werden.
Vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges beauftragte der Großvater, wieder Ignaz Stolz, die Sage vom weißen Riesen auf die Längswand des Speisesaals zu malen. In gelernter Voraussicht meinte der Künstler, ob er vielleicht das Bild dieses Mal auf eine Leinwand malen solle um es, falls es wieder nicht gefällt, leichter abnehmen zu können. Ergänzend sei gesagt: Der Großvater kam dem Wunsch des Gastes nicht nach und noch heute zieren beide Malereien auf sehr beeindruckende Weise den Speisesaal. Ob der Gast samt Familie jedoch tatsächlich abgereist ist, ist nicht bekannt.
Das Antiquariat des Zirmerhofs
Überall im Hotel trifft man auf charmant arrangierte alte Gegenstände. Teilweise aus Familienbesitz wie das Puppenhaus das, wie gerade noch in Verwendung, auf der Kommode Platz genommen hat. Aber auch geschmackvoll zugekaufte antiquare Schönheiten vervollständigen das Sortiment. Jedes Zimmer trägt einen Namen. Nicht irgendeinen. Nein, den Namen einer Berühmtheit wie z. B. Ferdinand Sauerbruchs oder Max Plancks die in diesen Zimmern residierten. Mühevoll recherchiert in Buchungsaufzeichnungen längst vergangener Tage.
Alte Schilder, die am Dachboden gefunden wurden, zieren so manche Wand. Mit viel Gespür und Feingefühl angebracht, denn der Ort, den sie verkünden, zeigt in die richtige Richtung.
Auch der Gottvater in der Ecke der Original-Bauernstube aus dem 16. Jahrhundert, oder der Adler mit dem geknickten Flügel, den der Großvater in der Diele am Treppenaufgang anbringen lies, erzählen Geschichten. Wundersame Geschichten die Bücher füllen könnten.
Das Heute des Zirmerhofs
Heute erreicht man den Zirmerhof bequem über eine gut ausgebaute Straße. Sepp Perwanger gehört mittlerweile zur vierten Generation, die den traditionsreichen Betrieb führt. Neben dem Hotel wird eine Landwirschaft mit ca. 150 Hektar Wald, Wiesen, Weiden, die Zucht von Hochlandrindern in Freilandhaltung, sowie ein Weingut betrieben. Während das eigene Holz für wohlige Wärme sorgt, findet das Bio-Fleisch in der Küche Verwendung.
Vieles wird Neu
Auch Sepp Perwanger hat schon, wie sein Großvater, viel verändert und noch viel vor. So wurden am Gelände drei Hütten in Holzbauweise errichtet die gemietet werden können. Jetzt tüftelt er gerade mit keinem geringeren als dem italienischen Stararchitekten und Designer Michele De Lucchi an einem zusätzlichen, neuen Gebäude. Aufgrund der Besonderheit der Lage und des Projekts wurde der Weisenrat (ein aus drei Architekten bestehendes Gremium) mit der Entscheidung beauftragt, ob dieses Gebäude hier gebaut werden darf. Auf die Ankündigung, dass die Entscheidung nun beim Weisenrat läge, meinte Michele De Lucchi zu Sepp Perwanger, „Die Weisen werden weise sein.“ Und so kam es, dass das außergewöhnliche Projekt nun knapp vor der Fertigstellung steht. Der Kontakt zum Stararchitekten kam, wie könnte es anders sein, durch einen Gast, zustande.
Das Erbe des Zirmerhofs
Im Testament des Vaters stand zu lesen: „Sepp, pass mir auf den Hof auf.“ Sepp Perwanger ist sich seiner Verantwortung gegenüber Geschichte, Natur und Tradition sehr wohl bewusst. Den Charme des Vergangenen zu erhalten und den Komfort des Heute zu verbinden, daran arbeitet er. Unter tatkräftiger Mithilfe seiner Mitarbeiter und seiner Frau Sandra, einer Schweizerin, die als Gast kam und – als Ehefrau blieb. Sie verwaltet den eigenen Gemüse- und Kräutergarten, ist in der Rezeption tätig und kümmert sich liebevoll um die geschmackvolle, natürliche Dekoration im Haus. Ja und dann wäre da noch der Leo, Sepp Perwanger. Der Fünfte in der Generation der Perwangers, der vielleicht eines Tages, wie seine Vorgänger, seine Ideen verwirklicht, am Zirmerhof in Radein.
Zirmerhof
Auf SOLO Steindl finden Sie ausschließlich Tipps, die wir selbst getestet haben. Unser Aufenthalt am Zirmerhof und die wunderbaren Geschichten, die uns der Hausherr auf sehr amüsante Weise höchstpersönlich vortrug, werden uns noch lange in Erinnerung bleiben.
ZIRMERHOF
39040 Radein/Redagno
Südtirol/Italien
Tel.: +39 0471 887 215
www.zirmerhof.com