Was halten Sie von Dresscodes? Sind diese noch zeitgemäß?
Dresscodes gibt es immer. Auch wenn sie vollkommen informelle Kleidung tragen, hat diese Kleidung eine Bedeutung. Sie können gar nicht anders. Mit Kleidung senden sie Botschaften, zumindest in einer Gesellschaft, in der sie wählen können, was sie tragen wollen. Leben Sie in einer Gesellschaft, in der es strenge Kleidungsvorschriften gibt, können Sie nicht wählen, Sie müssen Gesetzen folgen.
Auf den Karten der Salzburger Festspiele steht: Festliche Kleidung erwünscht. Was halten Sie davon?
Es ist eigentlich traurig, dass man so etwas den Leuten mitteilen muss.Vor zwei Generationen hätten Sie das niemandem sagen müssen. Wer zu den Salzburger Festspielen ging, hatte deren Dresscode internalisiert gehabt. Das ist ein gutes Beispiel für Normen, die eigentlich nicht geboten und verkündet werden müssen, sondern die Mitglieder der Gesellschaft wissen oder fühlen, dass sie diese Normen jetzt anwenden müssen. Festspiele haben ja eine Bedeutung: Erstens sind sie ein Fest, das heißt, es ist nicht Alltag. Man geht da hin und tritt in eine wunderbare Welt ein, die dem Alltag entgegengesetzt ist. Zweitens ist es ein Ereignis der Hochkultur, das bedeutet die oberste Stufe der Kultur, die sie produzieren und konsumieren können. Wenn sie also sagen, Salzburger Festspiele, dann aktiviert das bestimmte Normen oder besser gesagt, das hat bestimmte Normen aktiviert. Denn Normen, informelle Normen, gelten natürlich nur solange, wie die Leute sie internalisiert haben. Mittlerweile gibt es Gruppen, die sich nicht mehr an diese Normen halten. Sei es, dass sie es nicht wissen oder aber nicht wissen wollen. Diese Leute kommen dann in Alltagskleidung und zollen damit der Hochkultur keinen Respekt mehr. Das ist für die Festspiele natürlich ärgerlich, denn damit fehlt eine Komponente, die andere Gruppen deutlich anzieht – die sogenannte obere Gesellschaft bzw. eine Gesellschaft die sich einer bestimmten Mentalität, Ideologie oder einem bestimmten Geschmack verpflichtet fühlt. Diese Leute gehen ja auch hin um sich zu zeigen, zu präsentieren. Es gibt ja nicht mehr viele Gelegenheiten wo man seine wunderbare Kleidung, Schmuck, Schuhe und Frisuren herzeigen kann. Kleidung ist ja immer auch ein Distinktionsmerkmal.
Was sind das, ihrer Meinung nach, für Leute, die sich nicht mehr an diese Normen halten?
Es gibt hier zwei Gruppen. Die einen sind wirkliche Kulturenthusiasten, das sind zum Beispiel junge Leute, die sagen: „ Ich liebe Oper, ich liebe Schauspiel, aber diese Dresscodes, dieses bürgerliche Getue und alles drumherum, lehne ich ab. “Diese Leute sprechen den anderen sogar Geschmack ab, wenn sie sagen: „ Die gehen da nur hin, um ihre Kleider zu zeigen. Von Kultur verstehen die gar nichts.“ Die andere Gruppe, tja denen sagt in Wahrheit auch Hochkultur nichts mehr. Die sagen: „Ja, die singen ganz nett.“ Diese Gruppe hat völlig das Gefühl für das Kostbare verloren.
Würden Sie empfehlen, auf die Karten einen Dresscode zu schreiben wie zum Beispiel beim Opernball?
Ja, man müsste das nur völlig anders legitimieren. Im Grunde handelt es sich um ein archaisches Bedürfnis. Schon in der Steinzeit hatten die Menschen ein Bedürfnis nach Ästhetik. Dieses Bedürfnis scheint fast zum Mensch sein zu gehören. Schon damals gab es Plätze, wo Feste gemeinsam gefeiert wurden. Nahezu alle Stammeskulturen malen sich, wenn sie Feste feiern, ganz aufwendig an oder tragen ganz bestimmte Kleider. Das hat eine Funktion, auch für die Motivlage. Das sagt nämlich den Leuten – es gibt da etwas, was nicht Alltag ist, es gibt da noch etwas anderes. Es geht auch um ein Gemeinschaftsgefühl – wir fühlen uns dem Schönen und nicht nur Funktionalen verpflichtet. Zwei tief in die Menschheit zurück gehende Werte und diese sollten wir nicht einfach über Bord werfen.
Inwieweit spielen die sozialen Netzwerke eine Rolle?
Die sozialen Netzwerke spielen eine eminente Rolle. Es kommt natürlich darauf an, welche Gruppe sich da meldet. Ich würde sagen, der Mainstream in den sozialen Medien erkennt die Bedeutung die die Salzburger Festspiele haben können, nicht wirklich an. Da bräuchte man schon eine Bloggerin, die das den Leuten verständlich macht.
Wie kleiden Sie sich zu den Festspielen?
Ich liebe es mich schön herzurichten. Für mich ist das wirklich ein Fest, eine Feier.Eintauchen in diese wunderbare Welt, die einfach schön ist. Jedes Jahr leiste ich mir, eigens für die Festspiele, ein langes Kleid. Es ist für mich eine Gesamtinszenierung. Das Kleid, das Hinkommen, das Eintauchen, die Vorführung – einmal besser, einmal schlechter, aber es ist immer ein Wille dahinter, etwas Besonderes zu bieten – und dann das Essen gehen. Ich genieße diesen Ausbruch aus dem Alltag und ich versuche, mich mit meinem Dresscode anzugleichen. Ich würde nie auf die Idee kommen, das nicht zu tun und ich hasse es, wenn die Leute in Shorts neben mir sitzen.
Person
Dr. Helene Karmasin leitet das Institut Karmasin Behavioural Insights. Sie ist auf qualitative Marktforschung und semiotische Analysen spezialisiert und berät seit Jahren internationale Markenartikel- und Dienstleistungsunternehmen. Ihr besonderes Interesse gilt der Einbettung von Produkten und Marken in die Kultur zeitgenössischer Gesellschaften. Sie hat eine Reihe von Fachbüchern veröffentlicht.