Helga Pöschl ist Personzentrierte Psychotherapeutin und gibt mir heute Auskunft zum Thema ANGST. Schon im zarten Alter von 7 Jahren wusste sie, dass sie Krankenschwester werden wollte. Und so kam es dann auch, wenn auch nur vorübergehend. Die Arbeit in der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg leget den Grundstein für ihren weiteren Weg. Die gebürtige Pongauerin studierte Psychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Mit viel Freude und Herzblut arbeitete sie viele Jahre für die Kinder- und Jugendhilfe. Jetzt freute sie sich jeden Tag auf ihre Arbeit in ihrer Praxis.
Was ist Angst?
Sie kennen sicher den Fassbinder Film Angst essen Seele? Genau das ist Angst. Angst isst die Seele auf. Es ist eines der schlimmsten Gefühle, die man als Mensch empfinden kann. Um diesen unerträglichen Zustand nicht aushalten zu müssen, versucht man die potenziell Angst machende Situation zu vermeiden oder zu kontrollieren und/oder versucht sich im Gebrauch von angstlösenden Mitteln, die mitunter in einer Sucht enden. Man geht von einer Vielzahl verursachender auslösender Faktoren aus. Diese bewirken erst im Zusammenwirken den tatsächlichen Ausbruch der Störung. Ebenso können Temperamentsfaktoren, eine prägende Umwelt oder eine genetische Prädisposition und negative Lebensereignisse eine Rolle spielen.
Warum steht Angst an erster Stelle der psychischen Erkrankungen?
Schon seit Jahrhunderten scheint der Begriff „Panikattacken“ in der Literatur auf, doch erst 1980 wurde dieser Begriff in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders aufgenommen. Warum die Angststörungen so stark angestiegen sind und mittlerweile an erster Stelle der psychischen Erkrankungen steht, kann ich nicht sagen. Vor einigen Jahren stand die Angst vor dem Fremden im Vordergrund, jetzt macht die Pandemie mit ihren Folgen Angst und bei Jugendlichen verstärkt die Sorge um den Klimawandel. Laut dem Robert Koch Institut leiden circa 15 – 20 Prozent der deutschen Bevölkerung irgendwann einmal an einer Angststörung.
Es gibt ja verschiedene Arten von Angst. Gibt es auch positive Aspekte?
Das Symptom Angst ist differentialdiagnostisch unspezifisch und hat viele Gesichter. Eine häufige Form ist die generalisierte Angststörung, d. h. dass diese Form der Angststörung nicht auf eine bestimmte Situation oder an ein bestimmtes Objekt gerichtet ist. Andere Angststörungen sind an eine bestimmte Situation oder an ein bestimmtes Objekt gebunden, wie z. B. Phobien. Das sind irrationale Ängste vor konkreten Dingen oder Situationen. Die positive Seite, wenn man es so nennen möchte, ist, dass Ängste uns auch auf drohende Gefahren hinweisen und somit eine Schutzfunktion haben.
Ab wann ist Angst krankhaft?
Niemand ist frei von Ängsten und Ängste gehören grundsätzlich zu unserem Leben. Verstärkt sich das Beschwerdebild, d. h. Sorgen und Befürchtungen werden derart belastend, dass sie psychisch krank machen und auch körperliche Beschwerden wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Schwindel und Magen- Darmbeschwerden hervorrufen, sollte eine professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Symptome wie z. B. Reizbarkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen und wenn es zu keiner Entspannung und Regeneration mehr kommt, belastet dies nicht nur die Klienten selbst, sondern auch die Angehörigen.
Wie kann man helfen?
Ich kann hier natürlich nur meine Vorgehensweise beschreiben, denn jede Therapieschule hat ihre eigenen Zugänge. Es gibt die medikamentöse Therapie mit Psychopharmaka, es gibt die Psychotherapie – hier wird vorwiegend die kognitive Verhaltenstherapie herangezogen, also den Klienten nach den entsprechenden Vorbereitungen mit den Auslösern seiner Angst zu konfrontieren. Hat jemand z. B. Angst vor großen Menschenmengen versucht er sich in einer Menschenmenge, z. B. bei einem Konzert aufzuhalten. Entscheidend ist, dass der Klient erlebt, dass die von ihm als Katastrophe angesehene Situation wie „ich sterbe dabei“, oder „ich mache mich zum Gespött aller“ ausbleibt. Ich empfehle, ein Angst-Tagebuch zu schreiben. Es wird dazu verwendet aufzuschreiben, was man hinsichtlich der Bearbeitung der Ängste schon erreicht hat. Die Intensität der Angstgefühle kann man skalieren und bewerten. So kann man feststellen, ob sich die Angstgefühle ändern. Natürlich sagt sich das so leicht, aber das ist sehr schwierig. All diese Dinge kann ich nur mit größeren Kindern machen. Oft ist es schon hilfreich, den Klienten zu erklären, dass eine Panikattacke nicht zum Tod führt, dass sie wieder vorbei geht.
Warum tun wir uns als Gesellschaft so schwer mit dem Thema Angst?
Angst ist ein Tabuthema in unserer leistungsorientierten Gesellschaft. Man darf keine Schwäche zeigen. Grund dafür kann auch Scham sein, wie z. B. als psychisch krank abgehandelt zu werden oder für die körperlichen Symptome als hysterisch befunden zu werden. Eigentlich wäre es ja ganz einfach zu sagen: „Ich habe Angst davor…“ Alleine schon das Sprechen über seine Ängste, z. B. mit einer vertrauten Person kann helfen.
Was macht diese Pandemie mit den Kindern und Jugendlichen?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich habe momentan einen jungen Klienten, bei dem sich das Schlafverhalten verändert hat und er hat Angst vor dem Sterben. Bei Kindern und Jugendlichen, bei denen ich merke, dass die Therapie alleine nicht mehr greift, erkläre ich bei einem Elterngespräch, dass ich zu einem Clearinggespräch auf der Kinderpsychosomatik rate. Dort wird geklärt, ob ein stationärer Aufenthalt nötig ist. Je jünger die Kinder sind, umso mehr können sie sich fürchten. Je älter sie sind, desto mehr können sie sich wehren. Sie können sagen: Dieses Corona will ich nicht mehr, ich lebe jetzt mein Leben einfach weiter. Aber was dieser Lockdown mit den Kindern und Jugendlichen macht, das kann ich gar nicht abschätzen. Es kommt auch darauf an, wie geschützt und gestützt sie von ihrem Elternhaus her sind und welche Ressourcen sie haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Professor Thun-Hohenstein hat in einem Interview einmal gesagt, dass er empfiehlt, alle Fragen zum Thema zu beantworten und auch einmal zu sagen, wenn man etwas nicht weiß. Das finde ich gut, denn wir wissen auch nicht alles. Diese Krise ist für uns alle neu!
Gibt es unterschiedliche Umgangsweisen?
Jeder Mensch geht anders damit um. Für freiheitsliebende Menschen ist diese Zeit besonders herausfordern. Ganz simpel ausgedrückt: Wir haben ein Angst-Hirn und ein Vernunft-Hirn und das Angst-Hirn darf nicht siegen. Alle Angsterkrankungen (Phobien, Panikattacken, generalisierte Angststörungen u. v. m.) zeigen einen unterschiedlichen Beginn und Verlauf und erfordern somit auch eine spezielle Beachtung und Therapieansatz.
Der Weg aus der Panikattake?
Kinder fragen immer: Kannst du mich wieder gesund machen? Geht das dann wieder weg? Meine Antwort lautet dann und dies gilt nicht nur bei Kindern, sondern allgemein: Wenn wir alle zusammenhalten, zusammenarbeiten und du da fleißig mittust, dann geht das wieder weg. Wenn wir immer wieder trainieren, dass uns nichts passieren kann, dann ist die Chance groß, auch eine Panikattacke zu bewältigen. Aber der Weg ist ein anstrengender. Der Erfolg hängt auch wesentlich von der inneren Haltung und Einstellung des Einzelnen ab, d. h. kann ich mit Rückschlägen umgehen, komme ich mit guten und schlechten Tagen zurecht und auch mit der Erkenntnis, dass die Therapie keine Wunderkur ist. Wichtig ist die Entschlossenheit weiterzumachen.
Was würden Sie sich wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass die Menschen dem Thema Angst gegenüber offener werden. Dass sie sich trauen, es auszusprechen, wenn sie Angst haben. Dass das Thema nicht tabuisiert werden muss und man gleich als Feigling hingestellt wird. Und dass Menschen, die einen Leidensdruck empfinden, sich trauen, Hilfe – in welcher Form auch immer – in Anspruch zu nehmen. Dass Menschen liberaler werden, wenn es um psychisch Kranke geht, dass noch mehr Aufklärung passiert.
Die Angst
„Die Angst hat ein Lob verdient, ein besseres Bild als jenes, das nur allzu oft von ihr gezeichnet wird. Die Angst hat mich immer wieder bewegt, mich weitergebracht. Sie hat viel für mich getan und wird es hoffentlich auch in Zukunft tun. Deswegen sind diese Zeilen auch ein kleiner Dank an die Angst.“ Das schreibt der Profibergsteiger und Extremkletterer Alexander Huber in seinem Buch Die Angst, dein bester Freund. Bei seinen extremen Klettertouren war Angst sein ständiger Begleiter, sein Richtungsgeber. Dass Alexander Huber auch an einer Angststörung litt und im Buch ganz offen damit umgeht, hat mich sehr berührt und zeigt, dass wirklich niemand davor geschützt ist. Ich bin weder Kletterin und noch Extrembergsteigerin und trotzdem hat mich dieses Buch gefangen genommen. In eine Welt entführt, die sonst für mich unerschlossen geblieben wäre.
Im Buch finden sich auch Beiträge von Jan Mersch, Bergführer und Psychologe, zum Umgang mit Angst und Krisen. „Das Bild vom furchtlosen Helden täuscht. Es ist ein Fantasieprodukt. Ein Held, der keine Angst hat, braucht keinen Mut. Die Angst ist eine ständige Begleiterin. Ohne Angst lebt kein Grenzgänger lange.
In diesem Buch finden sich zahllose Sätze, Weisheiten, die man sich immer wieder vor Augen führen kann. Worte, die einem in schwierigen Situation Hilfe bieten. Ich kann dieses Buch nur empfehlen!