Wissen Sie ob es bei den Salzburger Festspielen einen Dresscode gibt?
Ich war in der Vergangenheit oft in Salzburg und habe mir das Publikum sehr genau angeschaut, also auch äußerlich, nicht nur – berufsbedingt – die Reaktionen auf die Stücke. Ich würde sagen, es gibt unterschiedliche Dresscodes, soweit ich das beurteilen kann.
Auf den Karten steht nicht geschrieben, wie man sich zu kleiden hat. Wären Sie dafür, dass auf den Karten dezidiert steht, was man zu tragen hat?
Nein, auf gar keinen Fall! Das fände ich den Tod der Phantasie.
Das heißt aber auch, es stört Sie nicht, wenn neben Ihnen jemand in T-Shirt, Jeans und Sneakern sitzt?
Stören würde mich das nicht. Ich finde es trotzdem richtig, dass man einen Sprung macht in seiner eigenen Kleidungshierarchie, wenn man die Festspiele besucht. Wichtig ist mir aber auch, dass das Publikum mit sich eins ist und wenn das jetzt unbedingt die Jeans und die Turnschuhe sind – sei’s drum.
Verstehen Sie es, wenn sich Leute über die nicht passende Kleidung von Besuchern mokieren? Nach dem Motto, ich habe sehr viel für die Karte bezahlt, sitze in der ersten Reihe und neben mir sitzt Mr. Turnschuh?
In der Kleiderfrage geht es um eine lang eingeführte Tradition. Das kommt noch aus einer Zeit, wo ein kultureller Anlass mit einem speziellen Anlass konnotiert wurde, und das wirkte sich auf die Kleidung aus. Ich bin ein Kind dieser Zeit, deswegen ist mir das schon recht. Es geht bei diesem Vorgang aber natürlich auch darum sich öffentlich zu präsentieren. Ich denke dieser Präsentationscharakter hat nach und nach tendenziell abgenommen. Trotzdem ist es für mich in Ordnung, dass man besondere Anlässe würdigt mit einer speziellen Haltung, die einem eigen ist oder eben auch mit einer bestimmten Kleidung.
Gibt es Ihrer Meinung nach einen Unterschied zwischen der Bekleidung des Opernpublikums und der des Schauspiels? Sind die Leute beim Besuch des Schauspiels legerer gekleidet? Und wenn ja,warum?
Ja, da muss man tatsächlich unterscheiden. Und auch, ob es sich um eine Premiere handelt. Die Oper erzeugt schon Anderes, bodenlange Bekleidung zum Beispiel. Ich glaube tatsächlich, dass das mit einer inneren Einstellung zu tun hat, aber auch mit der finanziellen Aufstellung der Klientel, da es bei den Kartenpreisen doch erhebliche Differenzen zwischen Schauspiel und Oper gibt. Ich glaube auch, dass das Schauspielpublikum weniger auf Repräsentation aus ist, dass im Schauspiel der kulturelle Genuss das Primat hat.
Auch der Ort spielt eine Rolle?
Die Location bringt sicher sehr viel mit sich. Wir machen im Sommer auch eine Produktion im Mozarteum, im großen und im kleinen Studio, das ist von den Karten her günstiger und wird dadurch automatisch ein anderes Publikum anziehen.
Hat die Bekleidung auf der Bühne einen Einfluss auf die Bekleidung im Publikum?
Ich glaube, die Verbindung liegt hier eher zwischen gewissen Regisseuren, deren Stil und deren Publikum.
Jetzt zum „Jedermann“ – Alle Jahre wieder steht – gleich nach den prominenten Hauptdarstellern – das Kleid der Buhlschaft im Publikumsinteresse. Braucht dieses Stück prominente Namen bzw. besondere Kleider, um aktuell zu bleiben? Gibt die Rolle der Buhlschaft nicht mehr her?
Das eine ist, dass viele tolle Schauspielerinnen die Buhlschaft gespielt haben. Man nennt sie ja die wichtigste Nebenrolle der Theaterdramatik, da ist natürlich was dran. Es ist eine zentrale Rolle, aber trotzdem keine Hauptrolle, aber indirekt ist es trotzdem eine. Ich würde auch sagen, dass sich das Frauenbild geändert hat und damit der Blick auf den Jedermann und die Buhlschaft. Dieses Stück bietet soviel an Volumen und Inhalt und das garantiert sein Überleben. Jede Zeit hat ihren Jedermann und man muss den jeweiligen Zeitgeist herausleuchten. Das ist das Interessante an diesem Stück und darum funktioniert das auch nach wie vor. Mit der Buhlschaft verhält sich das genauso. Die Frage ist, geht es nur um die Oberfläche und ist der Tabubruch von damals, eine Geliebte und nicht die Ehefrau zu sein, haben diese Parameter heute noch Bestand? Was leistet sich der Jedermann von heute an Gefährtin, Gespielin, an Geliebter, was heißt das jetzt? Das sind Fragen die mich sehr umtreiben und die natürlich die Besetzung extrem determinieren. Es geht um ein unkonventionelles Frauenbild. Eine Frau, die sich nimmt was sie möchte, die sich nicht über ihre Oberfläche definiert, sondern über ihre Unabhängigkeit.
Also all die Aufregung um prominente Schauspieler/Innen und Kleid nur mediengemacht?
Nein, nicht nur. Ich denke, es ist ein Stück, das man befeuert und befeuern muss, über viele Jahre. Der Jedermann braucht, im Gegensatz zum normalen Repertoirebetrieb im Theater, Umbesetzungen. Und der Jedermann ist immer der Schauspieler seiner Zeit, da steckt ja eine Ideologie dahinter. Was transportiert dieser Schauspieler an Haltung, an Zeitgeist? Das muss man sehr ernst nehmen. Ich würde sagen, ich habe die allerbeste Besetzung für den Jedermann und was die Presse daraus macht, das ist ein anderes Thema.
Das Publikum trägt Tracht zum Jedermann – ein Salzburg-Phänomen?
Ja, das ist wirklich ein Salzburg-Phänomen und ich erinnere mich, wie ich vor vielen Jahren den „Jedermann“ hier zum ersten Mal gesehen habe, dass ich wirklich sehr überrascht war, so viele Leute in Tracht zu sehen. Ich bin ja Schweizerin, lebe aber seit 25 Jahren in Österreich, also Tracht ist mir nicht unbekannt. Ich persönlich trage keine Tracht, ich bin ganz anders sozialisiert. Aber ich bin die Letzte, die das aburteilen würde. Vor allem wenn man mit dieser Tradition aufgewachsen ist, hat das etwas Natürliches – und außerdem sehen viele Frauen auch ganz phantastisch aus in ihren Dirndln. Tracht ist traditionell und ich bin sicher jemand, der was die Bekleidung betrifft, nie traditionell im klassischen Sinn gedacht hat. Dass hier in Salzburg Tracht beim Jedermann getragen wird, ist auch ein identifikatorisches Statement.
Wie sind Sie gekleidet, wenn Sie die Festspiele besuchen?
Ich trage eine Art von schlichtem Schick. Es ist mir wichtig, dass die Kleidung gut tragbar ist, dass ich mich wohl fühle. Ich bin jetzt in einem Alterssegment, in dem ich mich nicht mehr „aufpudeln“ muss. Mir ist wichtig, dass das, was ich trage, eine schlichte Eleganz hat, gepaart mit ein bisschen Witz.
Sie ziehen sich anders an als im Alltag?
Auf jeden Fall. Natürlich! Dem Anlass gerecht. Ich finde es auch gut, wenn sich diese Bekleidung heraushebt aus dem Alltag. Aber man muss natürlich unterscheiden, ob man als Zuseher eine Vorstellung besucht, oder ob man hier arbeitet. Bekleidung hat auch mit Kosten zu tun und dem muss auch ich – wortwörtlich – Rechnung tragen. Eine Kombination aus einigen schicken und auch hochwertigen Teilen finde ich völlig gerechtfertigt. Mehr muss nicht sein, das wäre auch nicht leistbar und in Zeiten wie diesen würde das ansonsten in meinen Augen schon fast an Obszönität grenzen.
Person
Die Schauspieldirektorin Bettina Hering, 1960 in Zürich geboren, hat Germanistik, Philosophie und Psychologische Anthropologie studiert. Sie lebt in Salzburg und Wien, ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter. Regie und Dramaturgie bestimmen ihren Lebenslauf. Zuletzt war sie am Landes- theater Niederösterreich als Künstlerische Leiterin tätig. Ab der Spielzeit 2017 wurde sie, für fünf Jahre, als Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele verpflichtet.