Sie kommt nicht, sie erscheint. Unkonventionell positiv. Es umgibt sie dieses gewisse Etwas, diese enorme Präsenz, der man sich kaum entziehen kann.
Bekleidungszwang
„Ich glaube, ich habe mir noch nie Gedanken über die Bekleidung in meiner Kindheit gemacht. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, hat das immer etwas mit Zwang zu tun“, Angelika Kirchschlager wirkt nachdenklich während sie spricht. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich das tragen durfte, was ich wollte. Außerdem hat es mich gestört, dass meine jüngere Schwester immer das gleiche anhatte.“Das Thema Bekleidung hat für sie einen bitteren Beigeschmack.
Zwei Extreme
„Mir war nie ganz klar, was ich eigentlich wollte.“ Klar war, dass sie nie zu viel ihrer wertvollen Zeit mit diesem Thema verschwenden wollte. „Meine Garderobe hat wenig in der Mitte. Ich bewege mich zwischen T-Shirt und Abendkleid. Obwohl ich mit zunehmendem Alter mehr auf mich achte.“ Das schlichte, gerade geschnittene, graue Kleid, das sie trägt, ist schön. Auf eine ihr angemessene, unkomplizierte Art.
Auf der Bühne aufgedonnert
„Ich war die, die mit schwarzen Fingernägeln und dem PLO Tuch herumgelaufen ist. Einerseits, denn andererseits machte es mir auch unglaublich Spaß, schön gekleidet zu sein.“ Ihr Beruf bringt es mit sich, schön gekleidet sein zu müssen. Zumindest auf den Bühnen dieser Welt. „Es ist immer alles so aufwendig, bis alles passt. Die Haare, das Make-up und natürlich das Kleid.“ Das sei der Grund, warum sie untertags nicht aufgedonnert herumlaufen will. Weil „aufgedonnert sein“ ihre Berufsbekleidung sei. Mittlerweile lässt sie sich ihre Bühnenkleider von einer Schneiderin machen. Nach ihren Vorstellungen und nach ihrem Geschmack. Das funktioniert sehr gut. Kurzzeitig wurde sie von Escada gesponsert. Wunderschöne Kleider waren das. Aber Angelika Kirchschlager ist viel zu kreativ, viel zu freiheitsliebend, als dass sie mit „nur“ einem Stil, dem Escada-Stil, langfristig zurecht gekommen wäre.
Kostüme beeinflussen
Für Liederabende trägt sie Abendkleider, für Opernproduktionen sind es Kostüme. Angefertigt werden sie von den jeweiligen Kostümabteilungen, den Regieanforderungen folgend. „Das Kostüm hat einen ganz großen, einen gar nicht zu beschreibenden Einfluss. In Paris habe ich einmal eine Produktion gemacht, da musste ich eine Perücke tragen und sah aus wie ein Affe. Ich stellte einen Mann dar und trug einen Bodysuit mit künstlichen Muskeln. Darüber trug ich einen Rolli und darüber einen Regenmantel aus Plastik mit aufgemalter Ritterrüstung. Dann trug ich diese Perücke und noch einen Hut. So toll konnte ich gar nicht singen, dass ich dieses Kostüm hätte wegsingen können. Das kratzt ordentlich am Selbstbewusstsein. Und jedes Mal wenn man auf die Bühne geht, denkt man – wie peinlich! “ Gott sei Dank sind solche Regieeinfälle mittlerweile selten und meistens passen die Kostüme hervorragend. „Dann kann ich strahlen, kann meine ganze Kraft entfalten, fühle mich gut. Das macht sicher 30 Prozent meiner Arbeitaus.“
Besonderes Salzburg
2004 spielte sie in Salzburg den Rosenkavalier. Und Salzburg ist, abgesehen davon dass sie in Salzburg geboren ist, ein besonderes Thema für sie. „Bei den Salzburger Festspielen sind die besten Künstler dieser Welt engagiert. Sie bilden den Kern. Aber um diesen Kern gibt es so viele andere Geschichten. Da gibt es die Sponsorengeschichten, die VIP’s, die Happenings, die Presse. Viel zu viel Adabei’s. Dieses Publikum ist das Schwierigste der Welt, denn viele kommen nicht der Kunst wegen. Das spürt man, das sind keine guten energetischen Quellen.“ Sie wirkt aufgewühlt und ihre Stimme wird lauter.Es ist die Kunst die ihr so sehr am Herzen liegt. Und sie weiß auch schon wie man testen könnte wer tatsächlich nur wegen der Kunst kommt. „Ich würde mir wünschen, dass jeder im Publikum das gleiche anziehen muss, zum Beispiel Kutten. Wie bei der Firmung meines Sohnes.“ Eine Konzentration auf die Kunst ohne Beachtung der Äußerlichkeiten. „Wer würde dann noch kommen?“ Tatsächlich eine spannende Frage.
Kleidung und Respekt
Egal sei es ihr nicht, wie die Leute ins Konzert kämen. Es gab eine Zeit, da dachte sie es sei egal, aber mittlerweile denkt sie anders. „Unter anderem spiegelt Kleidung eine Haltung wieder und das hat auch mit Respekt zu tun. Nicht gegenüber mir, aber gegenüber dem Stück.“ Wenn Angelika Kirchschlager selbst im Publikum sitzt, trägt sie keine „normale“ Kleidung. Sie möchte ihren Kollegen Respekt zollen, wie sie sagt. „Ich trage sehr gerne Schwarz. Ich führe es darauf zurück, dass ich unsichtbar, neutral sein möchte. “Vieles ist in ihrem Leben schon passiert und vieles hat Spuren hinterlassen. Eine ganz wichtige Person in ihrem Leben ist ihr Sohn. Oft, wenn der Beruf sie in die weite Welt entführte, hat sie ihn allein gelassen und der Schmerz darüber sitzt nach wie vor tief.
Authentizität mit Geschmack
Die mittlerweile Fünfzigjährige weiß, was sie für schön erachtet und was sie als Geschmacklos empfindet. „Schön finde ich klare Linien, einfache Schnitte. Kleidung muss ehrlich sein. Alles überladene, zu viele Rüschen und Mascherln, das gefällt mir nicht. Auch auf grelle Farben kann ich gut verzichten. Geschmacklos ist für mich, wenn jemand versucht, etwas zu sein, einen Schein zu erzeugen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Frauen ein falsches Bild von sich haben, so wie sie sich anziehen. Ich verstehe, was sie meinen, welches Bild sie darstellen wollen, aber wenn das dann mit ihrer Persönlichkeit oder ihrer Figur nicht übereinstimmt, dann funktioniert das überhaupt nicht.“ Angelika Kirchschlager hasst einkaufen, vielleicht weil sie auch keine Zeit dafür hat. „In Wien gehe ich so gut wie nie einkaufen, eher im Ausland. Das Lustige an meiner Garderobe ist, dass sie total international ist.“
Echte Werte, nicht Follower
Dass viele modeinteressierte Menschen sich an den neuesten Trends orientieren, findet sie eigenartig. „Warum interessiert mich das? Warum will ich mich überhaupt informieren, was jetzt modern ist? Weil das dann alle tragen? Und was bringt das dann, wenn es mir gar nicht steht?“ Individualität, Selbstbestimmtheit und Freiheitsliebe auch betreffend Modethemen sind ihr wichtig. „Das mit den Modebloggern verstehe ich schon gar nicht. Da zeigen Teenager ein T-Shirt aus rosa Jersey in die Kamera und alle rennen und kaufen das dann, weil das jetzt Trend ist.“ Dass das Thema Nachhaltigkeit in der Mode immer größere Bedeutung gewinnt, findet sie großartig. Das wäre der richtige Weg. Denn der Sinn der ganzen Modebranche könne doch nicht darin bestehen, dass sich Leute, die viel Geld hätten, Kleidung kauften, die jedes Jahr wieder alt sei.
Kleidermacht
Gerne hätte sie ein Kleid das sie immer tragen könne – so wie ihre männlichen Kollegen, die immer im gleichen Outfit erscheinen dürften. „Ich schwanke immer zwischen – es ist mir total egal was ich trage – und – jetzt raffe dich einmal auf und bemühe dich! Und wenn ich dann ein schönes Outfit gefunden habe, dann freut es mich sehr.“ Und nachdenklich fügt sie hinzu: „Ja, es stimmt schon. Kleider machen Leute!“
Die Unkonventionelle
Angelika Kirchschlager ist eine in Salzburg geborene, österreichische Opernsängerin. Sie ist auf vielen Opernbühnen der Welt zu hören, wirkt aber auch als Interpretin von Liedern und Oratorien. 2013 tourte sie gemeinsam mit dem Liedermacher Konstantin Wecker durch Deutschland und Österreich. Sie hat einen Sohn und lebt in Wien.