Aufwühlend. Von Anfang an: aufwühlend. Dieses Gespräch mit Melanie, sie ist Rednerin, freie Theologin und Sängerin, wühlt mich auf. Christliche, fest in mir verankerte Bausteine werden durcheinandergewirbelt. Unruhig und locker waren sie schon lange davor. Immer wieder kamen Fragen, Zweifel an dieser, meiner Kirche, an die Oberfläche. Immer wieder habe ich sie verdrängt. Jetzt hat mir das Schicksal diese starke Frau an die Seite gesetzt: Melanie Lerchner – die Frau für besondere Lebensmomente, Segensmomente.
Melanies Weg
Es scheint, als würde sie alles, was sie macht, mit einer ungeheuren Leidenschaft tun. Angefangen hat alles mit der Musik. 2002 gründete sie gemeinsam mit ihrem Bruder, ihrem Cousin und einem Freund die Volksmusikgruppe „Weberhäuslmusi“. Ja, und dann gibt es da noch den „Weberhäusl Dreigesang“ und den „Lerchen Dreigesang“. Musik, so scheint es, nimmt einen ganz großen Teil ihres Herzens ein. Aber nicht nur die Musik erfüllt sie. Nach dem Theologiestudium, und zwar das Fachtheologiestudium (das ist jenes Studium, das auch angehende Priester absolvieren), arbeitet sie für die Erzdiözese in der katholischen Jugend. Gemeinsam mit einer Kollegin kümmerte sie sich, als regionale Jugendleiterin, um die Jugendarbeit im Flachgau. Sie entwickelt Projekte und erarbeitet das in die Jahre gekommene Firmkonzept neu. Melanies größter Antrieb war, die Jugend für die Kirche zu begeistern, auf moderne, frische, unkonventionelle Art. Der Name „Offener Himmel“ war für sie Programm.
Ihr unerhörter Ruf
Nach ein paar Jahren im kirchlichen Dienst war für sie der Zeitpunkt gekommen, dieses Amt niederzulegen. Ihr Wunsch, Priesterin zu werden, war immer größer geworden. „Ich habe diesen Ruf zur Priesterin in mir. Ich fühle mich zur Priesterin berufen“, meint sie. Und zwar schon seit jungen Jahren. Viele Gespräche hat sie geführt. „Viele Gespräche waren für mich sehr verletzend“. Das Thema berührt sie nach wie vor. Diese Starre der Kirche, wie sie meint. Der nächste Berufsschritt führte sie zu Porsche Informatik. Wiederum hatte sie zu vermitteln. Eine andere Art der Vermittlung. Ging es davor um Jugend und Himmel waren es dieses Mal Autohäuser und Software-Entwickler, die zur Vermittlung standen. Doch noch ließ sie das Thema „Kirche“ nicht so einfach gehen. An der theologischen Uni nahm sie eine Stelle für Lehre und Forschung an. Der letzte Job vor der Karenz.
Melanies Entscheidung
Mit der Geburt ihres Sohnes Gabriel fiel die Entscheidung, mit der sie so lange gerungen hatte: Im Herbst 2019 trat sie aus der Kirche aus. „Warum stellt man kirchliche Normen und Regeln über den göttlichen Ruf? Das ist für mich einfach unbegreiflich“, erzählt sie ruhig. Sie sei viel zu authentisch, als dass sie ihre Talente nicht ernst nimmt. Den Umgang der Kirche mit Menschen anderer Gesinnung kann sie ebenfalls nicht nachvollziehen. Mensch ist Mensch, alle möchte sie erreichen. Erreichen dürfen.
Melanies Segensmomente
Jetzt hat sie ihr Unternehmen „Segensmomente“ gegründet und arbeitet als Rednerin, Freie Theologin und Sängerin von der Freien Taufe über die Freie Trauung bis zur Verabschiedung. Der Lebenskreislauf, der sich in ihrem wunderschönen Logo, dem Baum, widerspiegelt. „Rednerin, ist ja eigentlich etwas sehr Weltliches, man gestaltet etwas mit Worten“, meint sie. Dazu kommt dann der Segen als konfessionsfreie Theologin. Religion ist für sie ein Zugang, den man frei wählen können sollte. Und dieser Zugang kann sich im Laufe des Lebens verändern. Sie urteilt nicht über den Zugang zum Höheren. Einem Höheren, das wir alle irgendwie spüren. Davon ist sie überzeugt. Was auch immer da sein mag. Wie auch immer wir es bezeichnen wollen: Gott, Universum, Liebe, Lebenskraft, oder Rückenwind, roter Faden. Alle Zugänge werden von ihr ernst genommen.
Segensmomente: Freie Taufe
Die Freie Taufe liegt ihr ganz besonders am Herzen. Auch wenn sie mit dem Namen nicht ganz glücklich ist, denn sie tauft ja nicht. Sie gibt dem Kind Schutz mit, einen Lebenssegen. Es gibt keine kirchliche Gültigkeit. „Diese Gültigkeit ist den Menschen die zu mir kommen nicht wichtig. Sie bevorzugen eine persönliche, moderne, eine herzliche Feier“, erklärt die Freie Theologin.
Segensmomente: Freie Trauung
Paare, die zu ihr kommen, haben meist schon eine kirchliche Vorgeschichte im Gepäck. Oder aber sie wurden ausgeschlossen, weil sie z. B. mit einer vorangegangenen Ehe scheiterten. „Warum soll, jemand der geschieden ist, nicht mehr würdig sein kirchlich heiraten zu dürfen?“, das versteht sie nicht. Sie traut und segnet alle Paare, die sich aufrichtig lieben. Der Segen dient dem Paar als Schutz über die Liebe und den künftig gemeinsamen Weg. Bei ihr gibt es keine Ausnahmen. Ihrer Meinung nach gibt es keine Restriktionen in der Bibel. Menschen sind, auch wenn sie gescheitert sind, es wert, einen neuen Anfang machen zu dürfen. Theologinnen und Theologen sollten nicht urteilen verurteilen, ausschließen.
Segensmomente: Freie Verabschiedung
Am Lebensende möchte sie der Seele einen Reisesegen auf den Weg mitgeben. Wohin auch immer. Wünscht jemand religiöse Ansätze, so wird das von ihr respektiert und sehr gerne umgesetzt. Segen ist für sie über allen Religionen anzusiedeln.
Die Reaktionen
Es gibt sehr viele positive und ein paar negative Reaktionen auf ihre neue Tätigkeit. Mittlerweile gibt es so etwas wie eine Fangemeinde, der, neben den getrauten Paaren, Eltern, Familien die ihre Arbeit bereits schätzen lernen durften, auch Diakone, Priester und viele Frauen innerhalb und außerhalb der Kirche angehören. Einen Priester konnte sie davon überzeugen, dass sie auf Augenhöhe nebeneinander arbeiten können. Paare die in der katholischen Kirche besser aufgehoben sind vermittelt sie an ihn und er vermittelt ihr Menschen die mehr zu ihrer Auffassung passen. „Wenn man empfohlen wird, dann ist das doch das Höchste“, freut sie sich.
Gemeinsame Wege
Melanie wünscht sich ein Nebeneinander verschiedenster Möglichkeiten, wo jeder seine Präferenz wählen darf. Auf Augenhöhe, wohlgemerkt. Sie möchte nicht spalten, sondern ein weiteres Angebot für Menschen außerhalb der Kirche schaffen. „Für mich steht der Segen über allen Religionen. Einem bunten Regenbogen gleich“, strahlt sie.
Hier finden Sie mehr Informationen zu Melanie Lerchner
Frauen machen Kirche
Im Buch „Frauen machen Kirche“ äußern sich Frauen unterschiedlichster Berufsgruppen, Generationen und Herkunftsländer über ihr Ringen und ihr Engagement mit der katholischen Kirche. Auch Melanie Lerchner, damals noch Mitglied der katholischen Kirche kommt zu Wort.
Bleiben.Erheben.Wandlen. Frauen machen Kirche ©2020 Patmos Verlag, Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern ISBN 978-3-8436-1217-3
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