Karina Reichl strahlt so eine ungeheure Ruhe aus. Ich merke sofort, dass ich, im Vergleich zu ihr, gehetzt bin. Sicher nur, weil ich gerade dem Sturmtief „Sabine“, welches mir mit voller Windeswucht auf der Staatsbrücke entgegenblies, schnellen Schrittes entfloh. Ganz sicher nur deswegen. Wir treffen uns im Café Bazar, meinem zweiten Büro, und sprechen über ihre Leidenschaft: Kräuter der Region.
Karina Reichl
Nach 10 Jahren Radiomoderation, beruflichen Stationen im klassischen Marketing und Onlinemarketing, kam der Zeitpunkt, an dem sie sich mit ihrem eigenen Glück befasste. „Soll ich meine Lebenszeit damit verbringen, Logos an vermeintlich richtige Stellen zu platzieren? Macht diese Millimeterfrage Sinn für mich?“, erzählt sie rückblickend. Bei einer Kräuterwanderung, an der sie teilnahm, sprang der Funken über. Plötzlich wusste sie, was sie wollte. In ihrer beruflichen Blase, die längst über ihr Leben bestimmte, hatte sie ganz einfach vergessen, wie gern sie schon als Kind einen Garten gehabt hätte. Jetzt war dieses Gefühl wieder da und es fühlte sich sinnvoll, ja, richtig an. „Ich habe meine Mutter angerufen und Rotz und Wasser geheult, weil ich so aufgewühlt war.“ Noch heute spürt man die Erregung in ihrer Stimme.
Die Kraft der Natur und Kräuter
Jetzt ist sie Bloggerin und schreibt auf ihrem Blog Fräulein Grün über Kräuter, gibt Rezept-Tipps und Anleitungen zum Selbermachen von Cremen und Salben. Endlich darf sie die Kraft der Natur wieder richtig spüren und leben. Die Kräuterliebhaberin machte die Ausbildung zur TEH-Prakterin und erkannte, dass die Leute einfach nicht mehr wissen was Kräuter können. „Aber sie googeln danach“, meint sie lachend. Und da googeln ja, mit ihrer Vergangenheit unauslöschbar zusammenhängt, war der Blog die logische Folge. Vier Jahre gibt es ihn bereits und er entwickelt sich prächtig.
Überall Kräuter: Naturküche, Naturapotheke, Naturkosmetik
Jede Woche bietet sie ihren Lesern ein neues Rezept in einer der genannten Kategorien. „Das sind die Rubriken, in denen die Kräuter wunderbar in den Alltag einfließen können“, meint die Expertin. Dass sie mit diesem Blog tatsächlich selbstständig wird, war nicht geplant. Es ist einfach passiert. Die geplante Auszeit wurde zum wortwörtlichen Dauerbrenner, denn das Feuer für Kräuter und Natur ist nach wie vor am Brennen. „Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen, und bin noch lange nicht fertig meine zahlreichen Ideen umzusetzen“, strahlt sie. Mittlerweile gibt es ein Buch von ihr, „Fräulein Grüns Kräuterwunder“, das im Münchner Random House Verlag erschienen ist und auf das sie mächtig stolz ist. Ein Fräulein Grün Kalender ist in Arbeit und demnächst wird sie einmal pro Monat auf Radio Salzburg zu hören sein. Dieses Mal in umgekehrter Rolle, als Kräuter-Expertin.
Karina, die Kräuter-Lehrende
Neben ihrem Blog veranstaltet sie Workshops, und zwar hauptsächlich Kräuterwanderungen in der Umgebung von Salzburg, aber auch in anderen Großstädten. „Auffällig ist, dass die Teilnehmer häufig sehr gestresst erscheinen, irgendwie ein schlechtes Gewissen haben, dass sie sich jetzt Zeit für sich nehmen“, erzählt Karina. Nach dem Kurs sind diese Teilnehmer meist wie ausgewechselt, einfach ruhiger, geerdeter und entspannter. Und kaum dazu zu bewegen wieder nach Hause zu gehen. Ihr Tipp für den Anfänger ist, klein zu beginnen. So hat auch sie es gemacht. Zum Beispiel mit drei Kräutern wie Gänseblümchen, Löwenzahn und Brennnesseln. Jeder wird dann selbst erkennen, ob ihn die Beschäftigung mit Kräutern gefangen nimmt und er die nächsten Arten in Angriff nimmt. Eines steht jedenfalls fest, es gibt überall Raum für Kräuter, wenn man denn will. In der Großstadt reicht schon ein kleiner Topf auf dem Fensterbrett.
Urban Gardening
Vor allem in den Großstädten sind ihre Kunden beheimatet. Überall dort wo Stress den Alltag bestimmt und der nächste Wald nicht wirklich greifbar ist. Für uns Salzburger sind Trend-Themen wie z. B. „Waldbaden“ eher umstritten, davon weiß auch sie zu berichten. Fest steht aber auch, dass alles rund um den Begriff „Entschleunigung“ ein großes Geschäftsfeld bietet. Das zeigt schon die nicht endend wollende Zahl an Magazinen, die sich diesen Bereichen widmen und momentan den Markt geradezu überschwemmen. „Kräuterpädagogen, Lifecoaches, Naturpädagogen, wie Schwammerln schießen sie aus dem Boden“, meint Karina lachend. „Aber jeder hat seinen eigenen Zugang und findet damit seinen ganz individuellen Bereich. Die Leute wollen zu mir, zu Karina, denn da wissen sie, was sie bekommen.“ Sie lächelt. Wie so oft geht es um Vertrauen, um greifbare, echte, authentische Personen. Und auf meine Frage, was ihr denn noch besonders wichtig erscheint, meint sie: „Ich wünsche mir, dass die Leute wieder die Kräuter und die Natur, die vor ihrer Haustür liegen, bewusst entdecken.“
Fräulein Grün
Wieder eine ganz besondere Lebensgeschichte, ein Glück im Kleinen. Wenn Sie jetzt neugierig geworden sind: den Blog von Karina Reichl, besser gesagt „Fräulein Grün“ finden Sie hier.
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